Der innere Kritiker – Mahnung zwischen Selbsthass und Selbst-Optimierung

Kennst Du das? Du machst einen Fehler – und sofort meldet sich eine Stimme in Dir. Ein Mahner beschimpft Dich. Die Schuld-Verteilung ist klar. Du bist betroffen und getroffen, weil Du weißt: Du bist schuld. Vielleicht kommt danach der Gedanke: „Immer mache ich alles falsch.“ oder der innere Kritiker macht weiter und sagt Dir: „Immer machst Du alles falsch.“ Auch andere Botschaften sind gängig, wie: „Da habe ich versagt.“;“Das hast Du ja wieder toll [sarkastisch betont] hingekriegt.“

Was ist der innere Kritiker?

Diese Gedanken von oben sind gar nicht freundlich gesinnt, sondern auf Krawall gebürstet, erschlagend, niederschmetternd, erdrückend. Kennst Du solche Gedanken? Sie werden dem inneren Kritiker zugeschrieben. Manchmal wird er auch der innere Richter genannt. Jeder Mensch hat den in seinem oder ihrem Inneren „wohnen“. Es ist ein Teilaspekt der Persönlichkeit, der Kritik äußert. Diese Kritik ist innerlich und nur für den oder die Betroffene „hörbar“ bzw. als Gedanke wahrnehmbar.

Prinzipiell kann Feedback ja auch konstruktiv sein und einen richtig weiterbringen. Du wirst aufmerksam auf Fehler gemacht, damit Du das in Zukunft besser machen kannst. Das i-Tüpfelchen zur Perfektion, das noch gefehlt hat, und das Du mit Leichtigkeit hinzufügen kannst. Es ist praktisch nur ein kleiner Schönheitsfehler, auf den Dein innerer Kritiker oder Deine innere Kritikerin hinweist. Dann ist damit alles in Ordnung und diese Mahnungen sind hilfreich. (Ob Du die eher als von einer Frau oder einem Mann kommend empfindest, hängt von Deiner Vergangenheit ab. Später mehr dazu. Zur Vereinfachung bleibe ich aber folgend bei der männlichen Form – und will damit aber alle Möglichkeiten beschreiben.)

Mit Selbst-Optimierung hat er gar keine Probleme

Wenn der innere Kritiker sich gegen den inneren Schweinehund durchsetzt, dann kann das einen sehr positiven Effekt haben. Vielleicht schaffst Du es, von Deiner bequemen Couch hochzukommen und eine Aktivität in Angriff zu nehmen. Du hast im Fitness-Studio ein Abo und warst aber schon länger nicht mehr dort? Dein innerer Kritiker wird Dich liebend gerne daran erinnern, auch wenn der Schweinehund das gar nicht hören will. Er würde lieber weiter die Serie anschauen und „binge watching“ betreiben. Deine Muskelstärkung wird aber eher im Fitness-Center geschehen, als auf der Couch. 🙂

Der innere Kritiker kann Deine eigenen Pläne und Vorsätze unterstützen. Er ermahnt Dich zur Aktivität. So kannst Du mit seiner Unterstützung Pläne ausführen, Ziele erreichen und Dich selbst aktivieren. Sogar Dich selbst optimieren, wenn das im Sinne Deines inneren Kritikers ist.

Das kann aber auch zu viel werden und nach hinten los gehen. Zum Beispiel wenn Dein innerer Kritiker Dich zu immer mehr Arbeits-Leistungen antreibt. Dann machst Du vielleicht Kariere und wirst ein Workaholic. Aber hört Dein innerer Kritiker rechtzeitig auf, wenn das zu viel wird? und Du arbeits-süchtig bist? Oder endet das mit einem Kollaps und Zusammenbruch im Burn-out? [weiterer Artikel auf zuWeg.net:] Was könnte dann noch helfen?

Diese innere Stimme ist zu streng – Hilfe!

„Ich will diese ständige Selbstkritik wieder loswerden, aber wie?“ denkst Du Dir vielleicht. Dann bist Du schon bei der Erkenntnis angekommen, dass es da etwas gibt, dass Dir nicht guttut. Das ist schon ein Schritt in die richtige Richtung, aber damit ist das Problem noch nicht gelöst. Selbstkritik kann einen richtig runter ziehen. Selbsthass als Folge des inneren Kritikers kann zerstörerisch wirken.

Ein Klient von mir, 32 Jahre alt, stand vor dem Spiegel und sagte laut: „fettes Schwein“ zu sich. Er war schon korpulent und er hatte auch schon viele Versuche unternommen, um abzunehmen. Das war sein innerer Kritiker und Richter, der das artikuliert und ausgesprochen hatte. Der ist bei diesem Klienten sehr mächtig. Ohne Mitgefühl für die eigene Person hatte er das raus posaunt. Wie ein Mobbing-Täter das macht und wie mein Klient in der Vergangenheit angegriffen wurde.

Attraktor-Zustand strenger innerer Kritiker und Richter

Es kann sein, dass dieser „state“ noch befeuert wird – von außen und von innen.

Denn es kann eine Sog-Wirkung innen entstehen. Gedanken (Kognitionen) kommen Dir in den Sinn, so dass Du das selbst auch so siehst, was und wie es Dir gesagt wurde bzw. immer noch gesagt wird. Du meinst, der innere Kritiker und Richter hat recht. Deine Selbst-Sicht ist eine Bestätigung der Sicht eines anderen, der Dich kritisiert hat. In der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) wird das Verstärkung genannt.

Der übergewichtige Klient, der sich im Spiegel anschaut, sieht dann ebenfalls nur, wie dick er ist – voller Selbst-Hass; und er kennt keine Gnade mit sich. Für ihn stimmt dann auch, dass er den Kritiker-(Aus)Spruch voll verdient hat. Das ist eine Bestrafung von sich selbst. Laut KVT ist das eine negative Verstärkung. Die geht ebenfalls in die gleiche Richtung.

Beide Gedanken sorgen dafür, dass die Strenge des inneren Kritikers und die inneren richterlichen Ab-Urteilungen zunehmen. In der Ego-State-Therapie verhält es sich ähnlich wie in der Anteile-Arbeit nach Michaela Huber, die ich gelernt habe.1 Der Zustand, Status bzw. „state“ des inneren Kritikers und Richters wird durch innere Umstände unterstützt und noch zusätzlich verstärkt. Dieser Teufelskreis wirkt anziehend wie ein Sog und wird deshalb Attraktor-Zustand genannt.

Aber auch von außen kann die Kritik mehr und damit die Eigen- und Selbstkritik steigern:

Der innere Kritiker und Richter wird strenger

Der Klient aus dem Beispiel oben hat Druck in der Firma bekommen, für die er arbeitet. Die Firma bestraft ihre Mitarbeiter für Fehlleistungen. Jeder Fehler, den die Führungsebene aufdeckt, wird in großen Belegschaft-Sitzungen besprochen. Die darauf folgenden Maßnahmen sollen als abschreckendes Beispiel dienen. Mein Klient hat bei so einer Sitzung vor der Belegschaft eine Abmahnung bekommen. Er war der Leiter der Maschine und sein Mitarbeiter, für den er zuständig war, hatte einen Fehler gemacht. Die Firma hat den Mitarbeiter noch strenger bestraft. Der durfte einige Tage gar nicht mehr an die Maschine und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Mein Klient hat die Maschinen-Führung verloren. Sein innerer Kritiker und Richter wurde durch diese Ereignisse in seiner Firma stärker und kräftiger. Mein Klient hat sich danach noch zynischer, depressiver und Menschen- und selbst-hassender geäußert. (Seinem inneren Kritiker und Richter folgend.)

Den inneren Kritiker verstehen; Selbsthass vs. Selbst-Optimierung; Selbstkritik loswerden; Trauma-Therapie mit Anteilen nach Michaela Huber
Der innere Kritiker ist hier innerlich sehr aktiv und wird von außen zusätzlich unterstützt und befeuert!

Wie kann man ständige Selbstkritik loswerden? – Wie kann der innere Kritiker beruhigt werden?

Eine Möglichkeit, um den inneren Kritiker besser zu verstehen und mit „ihm“ zu sprechen, ist die Stuhl-Arbeit oder auf englisch „chairwork“. Ursprünglich kommt das aus der Gestalttherapie nach Fritz Perls. Heute ist dieses Ansprechen auf einem Stuhl auch stark in Schematherapie, Ego-State-Therapie und Traumatherapie integriert. Der „state“, wie der innere Kritiker, bekommt einen eigenen Platz und Stuhl.

Schematherapie mit dem inneren Kritiker

Besonders bekannt für den Umgang mit inneren Anteilen / Modi (z. B. strenger Kritiker, verletztes Kind, gesunder Erwachsene) ist die Schematherapie nach Jeffrey Young, v. a. die sogenannte Modus-Arbeit. Sie wird manchmal mit der Stuhl-Arbeit kombiniert oder kommt als zweiter Schritt, nachdem mit dem inneren Kritiker auf dem Stuhl Kontakt aufgenommen wurde.

In der Schematherapie wird davon ausgegangen, dass Zustände aus der Vergangenheit im Gehirn als neuronale Netzwerke abgelegt wurden. Sie werden Schemata genannt. Kommen diese Menschen durch einen Auslöser (englisch: Trigger) wieder in so eine ähnliche Situation, wird genau das neuronale Netzwerk von damals im Gehirn aktiviert. Das Fachwort dafür ist Alters-Regression oder in der Schematherapie wird das Modus genannt. Sie agieren z.B. im zarten und fragilen Kind-Modus, wenn das prägende Ereignis in der Kindheit passiert ist. Denn diesen Menschen steht nicht das übliche Potenzial ihrer Gehirne und ihrer Handlungsfähigkeit als Erwachsene zur Verfügung.

Auf der anderen Seite werden aber auch die „Stimmen“ aus der Vergangenheit aktiviert, die mit dem Kind geschimpft haben. LehrerInnen, ErzieherInnen, die Eltern oder Hausmeister, die damals das Kind angeschrien haben, melden sich innerlich. Das sind nach der Schema-Therapie die Eltern-Modi.2

Die Arbeit mit Anteilen nach Michaela Huber

Nach der Lehre von Michaela Huber sind das Anteile, die Täter-Introjekte (EP control) sind. Das sind die inneren Kritiker und Richter, die mit strengem Ton die Moral des Täters wiederholen. Sie sind in traumatischen Situationen entstanden und haben sich abgespalten.3 Auch Affekt-„states“ aus der Ego-State-Therapie sind damit verwandt (nur das keine Dissoziation bzw. Abspaltung statt fand.) In der Psychoanalyse nach Freud sind diese moralischen Mahner das Über-ich.

Das Dilemma in diesen Situationen ist, dass nicht der oder die Erwachsene am Ruder sitzt, sondern das Kinder-Ich (EP fragil) aktiv ist. Die Person kann nicht ihr ganzes aktuelles Erwachsenen-Potential nutzen. Nicht alle Gehirn-Areale stehen zur Verfügung. Nur die Bewältigungsstrategie (des Kind-Modus) von damals ist leicht abrufbar.

Ist die Lösung von damals auch noch heute die beste Option?

Gerade wenn das Ereignis damals für das Kind überwältigend war, kann ein Trauma entstanden sein. Wenn gar kein Mitmensch zur Verfügung stand, mit dem er oder sie sich zu den Geschehnissen austauschen konnte. Eine Klientin erzählte mir z.B. von schlimmen Verhältnissen zu Hause, weil ihr Vater körperlich gewalttätig war. Sie konnte keine Veränderung herbei führen und auch mit niemandem darüber reden, der das verändern konnte. Das Geheimnis auszuplaudern war vom Vater strengstens verboten worden. Die Mutter hat die Gewalt-Exzesse auch gesehen, aber erst einige Jahre später die Trennung vollzogen.

Sie entscheidet sich heute ganz klar gegen die Gewalt ihres Vaters und hat ihre Kinder und Enkelkinder nicht geschlagen. Aber sie hat sich auch ganz klar gegen das Wegschauen und das Nicht-wahr-haben-wollen ihrer Mutter entschieden. Sie hat ihren Erwachsenen-Modus mit dem Aussprechen von Familiengeheimnissen und Ansprechen von übergriffigen Situationen gefunden. Bei ihr kommt kein Mann davon, der sich gegenüber Frauen oder Mädchen übergriffig verhält. Sie weiß, dass die Bewältigungsstrategie von damals heute nicht mehr adäquat ist. Damals war das richtig, weil der Vater noch drakonischer agiert und noch mehr zugeschlagen hätte, wenn sie das damals schon so gemacht hätte. Heute weiß sie, dass sie Mädchen und Frauen hilft, wenn sie deren Täter anprangert. Sie hilft ihnen, aus diesen unaushaltbaren, aber leider nicht unmöglichen Situationen auszusteigen.

Ausstieg: Es gibt Hoffnung (:-)) – den inneren Kritiker verstehen und integrieren

Geht Dir das Gezeter des inneren Kritikers und des inneren Richters auf die Nerven?
Ausklappbare Antwort:

Dann könnte in Deinem Innenleben ein Täter-Introjekt aktiv sein, das aus der Vergangenheit kommt. Misshandlungen, wie das Angebrüllt-worden-sein von einer cholerischen LehrerIn, von deinem prügelnden Vater oder einer anderen Person, die Macht über Dich hatte, haben sich in Deinem Nervensystem eingeprägt. Sie haben ihr Eigenleben in Dir entwickelt und wollen Kontrolle über Dich ausüben (EP control).

Hast Du genug davon?
Ausklappbare Antwort:

Was ist, muss nicht so bleiben“ heißt ein Buch von Michaela Huber. Ich bin der gleichen Meinung. 🙂
(Für Erklärungen, warum das so ist, siehe vorige Antwort.)

Oder haben Dir andere, vielleicht Dir liebe Menschen, gesagt, dass Du in gewissen Situationen gar nicht handelst wie ein Erwachsener, sondern wie ein Kind?
Ausklappbare Antwort:

Hier ist Dein Kinder-Ich am Ruder und hat diese Situation vollkommen in der Hand (EP fragil). Wie ich oben versucht habe zu erklären, kommen Dir Lösungsmöglichkeiten, die Dir als Erwachsener zur Verfügung stehen würden, gar nicht in den Sinn. Aber die (vielleicht einzige) Möglichkeit von damals ist heute inadäquat. Sie kommt automatisch, aber passt nicht mehr für die heutige Zeit.

Eventuell belasten Dich auch innere Stimmen, die streng zu Dir sind, zusätzlich. Der innere Kritiker und der strenge Richter oder andere Beurteiler (EP control) mischen sich ein und geben dem inneren Kind noch eins drauf. Die inneren Beurteiler bestrafen das innere Kind zusätzlich.

Dein innerer Kritiker will nicht, dass Du dein Potenzial ausreizst?
Ausklappbare Antwort:

Wir können den innerer Kritiker als Täter-Introjekt oder als Täter-imitierenden Anteil interpretieren. Der ist dem Täter nachgebildet und hat auch die Ansichten in sich aufgesogen. Die können vollkommen entgegengesetzt sein zu Deinen eigenen Ansichten.

Das Täter-Introjekt ist „ich-dyston“. Das heißt, dass es sich nicht als Teil Deines Ichs anfühlt. Es fühlt sich dem Täter zugehörig und glaubt, eine Nachbildung von ihm zu sein. Dem Täter-Introjekt ist eventuell gar nicht klar, dass es in Deinem Körper „wohnt“.

Es hat die Macht, Dich bei der Umsetzung Deiner eigenen Vorstellungen von Deinem Leben zu sabotieren! Das Täter-Introjekt ist dann Dein eigener innerer Saboteur!


Eine Therapie kann Hilfe bringen. Du und ich können gerne zusammen daran arbeiten. Ich begleite Dich und bin gern mit Dir „zu Weg“. Deinen nächsten Schritt machst Du 🙂 mit der Kontaktaufnahme.


Fußnoten und Ressourcen-Box:

  1. Ich, Norbert Hopfner, bin in der Jahresgruppe 2025 von Michaela Huber. Zertifizierte Jahresweiterbildung „Bindungsorientierte Psychotherapie bei Stress- und Traumafolgestörungen“
    Link: https://www.mh-akademie.com/jahresgruppe/ ; abgerufen am 2025-09-17 ↩︎
  2. vgl. Website: Schweizer Gesellschaft für Schematherapie – Das Modusmodell
    Link: https://www.sgst.ch/modusmodell ; abgerufen am 2025-09-17 ↩︎
  3. vgl. Buch von Michaela Huber, „Der Feind im Innern – Psychotherapie mit Täterintrojekten. Wie finden wir den Weg aus Ohnmacht und Gewalt?“
    Verlags-Link: https://www.junfermann.de/titel/der-feind-im-innern/245 ; abgerufen am 2025-09-17 ↩︎

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