alternative Überschrift: Annihilation – die vernichtenden Auswirkungen1 von Traumata
Ich habe mir aufgeschrieben, dass ein Trauma eine affektive Reaktion auf eine belastende Situation ist. Das hört sich so einfach an, an der Oberfläche betrachtet kausal. ‚actio‘ bewirkt ‚reactio‘. War das nicht ein Newton’sches Gesetz aus der Physik? Hatte ich vor 30 Jahren so beim Physik-Test potentielle in kinetische Energie umgerechnet? Kurz nach der affektiven Reaktion schreibe ich das Wort ‚Annihilation‘ auf (da noch ohne Doppel-n, was aber falsch geschrieben ist) und dazu den Hinweis zur „vernichtenden Qualität“. Im Laufe der Recherche zu diesem Artikel erfahre ich mehr über Annihilation und die vernichtende Auswirkungen, die sie in der Schwere der Belastung des Nervensystems hat.
Am Freitag war der erste Tag der Jahresgruppe 2025 von Michaela Huber und ihrer Akademie. Ich werde das ganze Jahr über teilnehmen und mein Wissen zu „Diagnostik und Behandlung komplexer Traumafolgestörungen“ vervielfachen. Darauf freue ich mich schon, aber es ist für mich auch ein mulmiges Gefühl dabei. Ich glaube, ein paar Anteile in mir wollen nicht, dass ich mehr über dieses Thema (und somit über mich) raus finde. Gleichzeitig gibt es eine Faszination dafür, auf die Schattenseite zu schauen – und Licht ins Dunkel zu bringen…
Mehr zu Annihilation – Vernichtung (nur?) des Selbsts
Die Suchmaschine meiner Wahl hat nicht viel zu Annihilation ausgespuckt, schon gar nicht in deutscher Sprache. Da gibt es in der Quantenphysik (?, schon wieder Physik …) etwas ganz spannendes *gähn* „Der der Annihilation entgegengesetzte Prozess ist die Paarerzeugung, die Bildung eines […]“2
Es gibt auch einen Film „Auslöschung“, der auf englisch „Annihilation“ heißt, wobei mir als Übersetzung nach dem Lesen dieses ‚reedit‘-Artikel eher Vernichtung passender erscheint, so wie Michaela Huber das auch in ihrer Schulung erklärt hat. (Aber vielleicht ist das nur Haarspalterei oder Übersetzungs-Freiheiten.) Vernichtung eines Opfers ist gemeint. Der unterlegene Mensch sieht sich nahe dem Tod und ob sie oder er überleben wird, liegt außerhalb der Kontrolle dieses Menschen – KOMPLETT außerhalb.
‚fear of annihilation (annihilation anxiety)‘ – Annihilation und (Todes-)Angst gehören zusammen
Ein bisschen näher in diesen Mensch geschaut, dessen Nervensystem den Eindruck der Annihilation wahrnimmt, Vernichtung: „In wenigen Momenten ist es vorbei mit mir, Tod, Schluss, Ende meines Lebens, Sense“. – Da ist dann der Begriff Todes-Angst passend. Ich wollte schreiben: Die Angst steigt ins Unermessliche; und für den Betroffenen oder die Betroffene stimmt das bestimmt, dass diese Erfahrung so überwältigend und nicht auszuhalten ist und die Amygdala ohne Ende feuert. Der neuronale Körper ist im Ausnahmezustand und der GAU (größte anzunehmende Unfall) findet gerade statt. Overload – Die Überlast wird nicht ohne Folgen bleiben, obwohl wir Menschen auf Überleben programmiert sind.


Unser Begreifen und das Broca-Zentrum
„Wir begreifen über Begriffe.“ sagte Michaela Huber am Freitag – und wenn es zu viel wird – ‚overload‘ – dann schaltet das Broca-Zentrum (Sprach-Zentrum im Gehirn, auch Broca-Areal oder Brocasche Sprachregion) ab.

Das ist eine Schutzfunktion, sagt Michaela Huber, und sie kennt auch das Wiederkehren der Sprache bei ihren KlientInnen. Die beginnen stammelnd und stotternd zurückzufinden zu den Worten und Begriffen. Die traumatische Situation selbst ist unbegreiflich (un-Begriff-lich). Die stattfindende bzw. stattgefundene Annihilation dann auch noch zu begreifen, übersteigt den Horizont. Da findet das Gehirn (Evolutions-bedingt?) besser, die Schoten dicht zu machen – und die grauen Zellen nicht zu überlasten.
Mein Brötchen-Job ist in der IT. Von dem her noch ein technischer Vergleich: Wenn die CPU (central processing unit) zu fast 100% ausgelastet ist, dann kommt die ‚process engine‘ zum Erliegen und die einzelnen ‚jobs‘ werden nur noch langsam oder gar nicht mehr bearbeitet. Durch ein ‚quality of service‘ kann man unterschiedlichen Bereichen andere ’nice‘ Werte zuordnen. Die fundamentalen Dienste sollen nicht so ’nice‘ agieren und das Weiterlaufen des Rechners gewährleisten. Umgemünzt auf das Gehirn agiert das Sprach-Zentrum ’nice‘ und wird durch andere akute überlebenswichtigere Prozesse ausgebremst und lahmgelegt.
Wenn nun aber das Broca-Zentrum geblockt ist, müssen wir ohne Sprache und Begrifflichkeiten klarkommen. Das Trauma findet im „namenlosen Grauen“ statt – und die Klienten tun sich auch bei einer Aufarbeitung (Re-Prozessierung) schwer, Worte zum Erlebten zu finden.
Nach so einer überwältigenden Belastung/ Überlastung bleibt der toxische Stress.
Überlegungen zu Trauma und die 3 bekannten f’s – oder sind es noch mehr?
Michaela Huber hatte auch noch über die erlebte Ausweglosigkeit bei Komplex-Trauma gesprochen. Das Gefangen-sein hat meist dieses Erleben zur Folge, und auch von außen drauf geschaut, ergibt diese Wahrnehmung Sinn. An ‚fight‚ und ‚flee‚ ist in Gefangenschaft nicht zu denken. ‚freeze‚ als drittes der bekannten drei F ist möglich, interessiert den Täter aber nicht besonders, ob der Häftling versteinert in der Zelle hockt oder nicht. Ein vierter Zustand ‚fawn‚ tritt auf den Plan, was ich vor ein paar Monaten als ‚überangepasst sein‚ erklärt gefunden habe. Aber dazu mehr in einem anderen Artikel ein andermal geschrieben…
Zusammengefasst kann Annihilation (Vernichtung) und Versuche dieser von Tätern, schwere Schäden durch die Todesangst bei den Betroffenen auslösen. Diese Traumata sind nicht so einfach aufzuarbeiten. Ohne Aufarbeitung wird aber der erlebte toxische Stress wichtige Bereiche des Lebens der oder des Betroffenen beeinflussen.
So schließt sich dann auch der Kreis – und dieser Artikel:
Annihilation als vernichtende Qualität und Auswirkungen auf die Selbst-Ermächtigung
In dem ‚reddit‘-Austausch schreibt die Themen-Starterin oder der Themen-Starter: „Yup. rage will do it. My mother raged like a Mf’er. It was her weapon of choice. I know the fear of being around someone like that. It just freezes you. There’s not much chance of surviving that with your sense of empowerment intact , since you’re sort of trapped in that with them.“
Obwohl ich nicht genau weiß, was mit Mf gemeint ist (wobei, wenn ich so überlege, kommt mir schon etwas in den Sinn, dass mit ‚mother‘ startet, aber warum dann noch ‚er danach? egal) – [Es] kommt doch klar rüber, dass Annihilation nicht unpassend ist, was ihr auch ein ‚user‘ vor dem oberen Zitat schreibt. Etwas vereinfacht übersetzt besagt das kopierte Zitat: Rage (Zorn, Wut) war die Waffe meiner Mutter, um mich als Kind zu terrorisieren, zu vernichten. Regelmäßig bin ich damals versteinert. Es gab nur wenig Chancen, das mit einem intakten Sinn für Selbst-Ermächtigung zu überleben, weil Du in der Falle mit denen (den Eltern) warst.
Es ist also kein Wunder, dass in diesem Fall (und auch in anderen Fällen) nach der Annihilation der Mutter (einem Elternteil) in der Kindheit, die Selbst-Ermächtigung auch in der Gegenwart sehr gering, nicht gesund und immer noch ein Problem ist.
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- Minea merkt an, dass sie das Wort Qualität positiv behaftet kennt und dass sie es deshalb unpassend findet. Für mich, Norbert Hopfner, verstehe das hier im Sinne von Qualität und Quantität und deren neutrale Bedeutung. Die Qualität beschreibt für mich das ‚Wie gut‘ oder ‚Wie stark‘, also die inhaltliche Güte von etwas. (Im anderen Fall der Quantität kommt es auf das ‚Wie viel‘ drauf an.) Aus meiner Sicht kann auch das Schlechte inhaltlich hochwertig sein und damit starke Qualität haben, was dann nochmals unterstreicht, dass das alles andere als harmlos ist. ↩︎
- https://de.wikipedia.org/wiki/Annihilation